Ein Fotoband dokumentiert die Zeit vor dem russischen Truppenabzug.

Schon das Titelfoto lässt erahnen, dass der Fotoband „Der Abzug. Die letzten Jahre der russischen Truppen in Deutschland.“ keine leichte Kost ist, die einfach so wieder ins Regal wandern kann: Zwei junge russische Soldaten blicken aus der Durchgangstür eines typisch russischen Eisenbahnwagens in eine Wagenhalle. Ein vertrauter Anblick für alle, die sich an die Besatzungszeit erinnern, ungewohnt, weil damit mehr als 20 Jahre alte Erinnerungen wachgerufen werden. Diese Grundstimmung bleibt beim Betrachten der Fotografien auf den 415 Seiten.

Der 1944 geborene Fotograf Detlev Steinberg hat den Abzug der russischen Streitkräfte mit der Kamera begleitet: Da er sehr gut russisch sprach, haben Soldaten und Offiziere, wie auch zivile Angehörige der Truppe ihm offenbar schnell vertraut. So vermitteln die Bilder eine Nähe, die Außenstehende nie erreichen konnten. Anders als auf die üblicherweise verschlossenen Gesichter der Rotarmisten, die in der DDR stationiert waren, trifft der Betrachter in dem Buch auf vielfältig gestimmte, amüsierte, nachdenkliche oder sorgenvolle Blicke, und erkennt junge, mitunter verletzlich wirkende Menschen in Situa­tionen, die sie sich selbst nicht ausgesucht hatten. Ihre Versuche, unter den schweren Bedingungen des Kasernenlebens in der Fremde Normalität, auch jugendliche Leichtigkeit zu leben und Heiterkeit zu versprühen, vermittelt der Fotograf mit bemerkenswerter Beobachtungsgabe. Selbst in „statischen“ Augenblicken, wie bei Truppenparaden oder beim Posieren vor Denkmälern, stellte er eigenwillige Dynamiken und die menschlichen Persönlichkeiten heraus. Gebäude, Plätze, Ausrüstungsgegenstände, Menschen bei der Truppen-Versorgung, im Manöver, beim Verladen von Geräten – die leicht unscharf und unterbelichtet erscheinenden Fotos erzählen immer auch Geschichten.

In dem Band sind auch mehrere Aufsätze von Zeitzeugen, die den Abzug aus ihrer Sicht schildern. Das ganze Buch ist zweisprachig – russisch und deutsch. Abscheu gegen die mitunter stumpfsinnige und brutale Despotie der Besatzung und gegen das, was sie aus Menschen machen konnte, sind dabei nicht tonangebend. Es sind versöhnliche Klänge, die die Bilder begleiten. Die Texte fungieren überraschenderweise als Illustrationen der Fotografien, der Hauptsache, der eigentlichen Präzisionsarbeiten. Sie laden dazu ein, über historisch und politisch einseitige Darstellungen, etwa über die Militärdoktrin der Sowjetunion, versöhnlich hinwegzusehen.

„Der Abzug“ ist ein Buch, in dem immer wieder geblättert werden kann, ja sollte. Was ist wohl aus den jungen Menschen auf den Fotografien geworden? Russland hat sich so anders entwickelt, als viele es sich Anfang der 1990er Jahre vorgestellt hatten. Dass unsere gemeinsame Erfahrung, Konflikte besser auf friedliche Weise zu lösen, uns nicht vor der gegenwärtigen befremdlichen politischen Situation bewahrte, ist bedauerlich. Klammheimlich entsteht beim Betrachten der Bilder der Wunsch, an den Punkt des Rückzugs zurückzukehren, und noch einmal dort anzufangen, als alle freundlich und vollkommen arglos auseinander gingen. Auch aus diesem Grund wird das Buch nicht altern. Es erinnert daran, dass alle Menschen der Wunsch nach Frieden einen sollte.
„Margot Blank, Christoph Meißner, Deutsch-russisches Museum Berlin-Karlshorst (Hg.): Der Abzug. Die letzten Jahre der russischen Truppen in Deutschland. Eine fotografische Dokumentation von Detlev Steinberg.“

Verlosung

Die Rathausnachrichten verlosen drei Exemplare des Buches. Interessierte schicken eine E-Mail mit dem Betreff „Buchverlosung“ bis zum 18. Dezember an: pressestelle@lichtenberg.berlin.de Die Gewinner werden unter Ausschluss des Rechtsweges ermittelt und benachrichtigt.

Dirk Moldt, Bild: BA