Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Die Linke) wünscht sich, dass die Lichtenbergerinnen und Lichtenberger vorhandene Beteiligungsmöglichkeiten stärker nutzen.

Michael Grunst (Die Linke) ist seit zwei Jahren Bezirksbürgermeister von Lichtenberg. Im Interview mit Barbara Breuer blickt er zurück auf das vergangene Jahr und erklärt, wieso Hohenschönhausen ein Kulturhaus braucht und warum der Bezirk eine Milliarde Euro in die Schulsanierung steckt.

Herr Grunst, 2018 ist fast vorüber. Welche Ereignisse haben Sie am meisten berührt?
Michael Grunst: Die Begegnungen mit unseren Hundertjährigen. Soviel gelebtes Leben. Sie haben zwei Weltkriege miterlebt. Schwere wirtschaftliche Zeiten durchgestanden, den Wiederaufbau getragen und dennoch hat sie nie der Lebensmut und die Lust auf das Leben verlassen. Die Erzählungen dieser Hochbetagten berühren mich sehr.

Das Bezirksamt hatte sich während einer Klausurtagung zu Jahresbeginn auf gemeinsame Ziele verständigt. Was war das Wichtigste?
Michael Grunst: Das Funktionieren der Lichtenberger Verwaltung hat Priorität. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger zurecht. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn sie wochen- oder monatelang auf einen Bescheid warten. Wer beispielsweise vor zwei Jahren einen Wohnberechtigungsschein beantragt hat, bekam ihn erst nach 20 Wochen. Jetzt sind es noch knapp fünf. Wir versuchen aber noch besser zu werden, vor allem für jene, die dringend die Hilfe und Unterstützung der Verwaltung brauchen. Wir haben viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach Jahren des Personalabbaus waren es aber viel zu wenige für die viele Arbeit. Allein in diesem Jahr haben wir rund 250 Neueinstellungen vorgenommen. Auch der Neubau von Schulen, Kitas und Sportanlagen hat in den kommenden Jahren Priorität. Und wir wollen die Voraussetzungen für weiteren Wohnungsbau schaffen.

Das ist auch nötig, denn Lichtenberg wächst kontinuierlich. Geht das ohne Konflikte?
Michael Grunst: Nein, die Menschen spüren die Veränderungen täglich. Die Straßen werden voller. Es wird viel gebaut und die Diskussionen um Bauvorhaben wie in der Ilsestraße oder am Ostkreuz werden intensiver. Das ist wichtig. Ich möchte, dass Lichtenbergerinnen und Lichtenberger sich einmischen und formulieren, wie sie im Bezirk leben möchten. Eigentlich haben wir jetzt die Situation, von der wir vor 20 Jahren geträumt haben. Die Menschen ziehen nach Lichtenberg, sie gründen wieder Familien und es werden viele Kinder geboren. Sogar die Geburtshilfe im Oskar-Ziethen-Krankhaus wird sich baulich erweitern. Toll!

Toll ist das nur, wenn auch die Infrastruktur hinterher kommt…
Michael Grunst: Wir werden beim Ausbau der sozialen Infrastruktur auf die Überholspur wechseln. Im kommenden Jahr eröffnen wir eine neue Grundschule in der Konrad-Wolf-Straße und 2020 noch eine weitere Grundschule in der Sewanstraße. Wir reaktivieren alte Schulstandorte wie in der Paul-Junius-Straße und beginnen mit dem Bau neuer Oberschulen und Grundschulen. In den kommenden Jahren werden wir bis zu eine Milliarde Euro in die Schulsanierungen, Sportanlagen, Kitas und den Schulneubau stecken.

Wo wird neben Schulen und Kitas noch investiert?
Michael Grunst: Das Land Berlin hat aufgrund der Haushaltsnotlage viele Jahre nicht investiert und auch wichtige Infrastruktur wie Fußwege, Straßen oder auch Gebäude nur teilweise saniert. In diesem Zustand sind sie jetzt auch. Da haben wir einen riesigen Aufholbedarf. Wir werden viel Geld in die Pflege aber auch in die Sanierung unserer Grünanlagen und Spielplätzen stecken. Und wir werden beispielsweise die Kultschule in der Sewanstraße sanieren.

Gibt es noch andere Schwerpunkte, die der Bezirk setzen wird?
Michael Grunst: Spielplätze sind natürlich wichtig für die Kinder in einem familienfreundlichen Bezirk. Damit wir auch weiterhin Berlins einziger als familienfreundlich zertifizierter Bezirk bleiben, streben wir im kommenden Jahr unsere Rezertifizierung an. Dabei besteht die große Herausforderung natürlich nicht nur darin, sich ein schönes Zertifikat an die Wand zu hängen, sondern Kinder- und Familienfreundlichkeit auch tatsächlich zu leben.

Wie sieht das aus?
Michael Grunst: Im Mittelpunkt unserer Entscheidungen stehen vor allem die Fragen, die wichtig für Familien sind. Dabei nutzen wir den Familienbegriff auch über Vater-Mutter-Kind hinaus. Familie ist für uns da, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Das kann die Regenbogenfamilien sein, aber auch die Wohngemeinschaft. In Lichtenberg sind es vor allem viele Alleinerziehende.  2018 war das Mitmachjahr in Lichtenberg. Es wurde enorm viel angeschoben: Die Leitlinen für die Bürgerbeteiligung, die Engagement-Strategie und die Stadtteildialoge…
Michael Grunst: Gerade die Veränderungsprozesse zeigen, wie wichtig es ist, dem Dialog zwischen Politik, Verwaltung und den Menschen eine neue Qualität zu geben. Um Veränderungen wie diese zu begleiten, brauchen wir nicht nur den Dialog, sondern auch die Vorschläge der Leute. Die wollen wir in den Stadtteildialogen aus ihnen herauskitzeln.

Ihre Vorschläge können Lichtenbergerinnen und Lichtenberger auf vielfältige Art und Weise loswerden…
Michael Grunst: Ja, und ich wünsche mir, dass vorhandene Beteiligungsmöglichkeiten wie der Bürgerhaushalt noch stärker genutzt werden. Die Leute brauchen nicht zu warten, bis der Bürgermeister oder die Stadträte Sprechstunden haben, sie können ihre Vorschläge, Anregungen und Kritiken unmittelbar einbringen, beispielsweise in den Stadtteilzentren oder auf Online-Plattformen wie www.buergerhaushalt-lichtenberg.de und www.berlin.de/ordnung.

Für Hohenschönhausen ist ein Kulturhaus im Gespräch. Dabei gibt es doch da schon eine Bibliothek, eine Jugendkunstschule und seit zwei Jahren das Projekt 360 Grad für Kreativität. Wozu noch ein Kulturhaus?
Michael Grunst: Aktuell sind im 360 Grad alte Planungen für Hohenschönhausener Infrastruktureinrichtungen ausgestellt. Schon vor mehr als 30 Jahren war ein Kulturhaus für Neu-Hohenschönhausen Thema. Es wurde aber nie gebaut. Auch wenn es in Hohenschönhausen schon eine Bibliothek und die Jugendkunstschule gibt, wollen wir einen Ort schaffen, an dem Kurse der Musikschule und kulturelle Projekte angeboten werden. Ein Ort, an dem alle eingeladen sind, einfach mitzumachen, wo sich Kinder und Erwachsene kreativ betätigen und sich treffen können und wo es einen Veranstaltungssaal gibt für Konzerte und Theateraufführungen. Dabei wollen wir zunächst einmal klären, was in einem solchen Haus passieren soll. Deshalb diskutieren wir es im Rahmen der Kulturentwicklungsplanung und der Stadtteildialoge.

Bei der Kulturentwicklungsplanung hat das Amt Interessierte dazu eingeladen, die bezirkliche Kultur- und Bildungslandschaft aktiv mitzugestalten. Wie wurde das angenommen?
Michael Grunst: Sehr gut. Wir freuen uns, dass so viele Menschen, die professionell in der Kultur und Bildung arbeiten oder am kulturellen Leben teilnehmen oder teilnehmen wollen, uns so engagiert dabei unterstützen, diesen Bereich weiter zu entwickeln. Wir haben viele thematische Veranstaltungen organisiert, die sehr gut besucht waren.

Was hat Sie dabei überrascht?
Michael Grunst: Ich war bei fast allen öffentlichen Veranstaltungen dabei und konnte mit den Lichtenbergerinnen und Lichtenbergern persönlich sprechen. Da hat mich die positive Energie, die dabei spürbar wurde, regelrecht mitgerissen. Es sind einfach ganz viele Leute aus unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbereichen zusammen gekommen, die Lust haben, die Kultur und Bildung in Lichtenberg mit uns voran zu bringen.
So haben beispielsweise Menschen mit und ohne Behinderung diskutiert, wie alle besser am kulturellen Leben teilhaben können. Bei anderen Aktionen haben wir mit Jugendlichen gesprochen, um zu erfahren, welche Kulturangebote sie sich wünschen. Immer wieder kam dabei die Frage auf, welche Räume es im Bezirk für Kultur noch gibt und wie neue Orte entwickelt werden könnten.

Herr Grunst, Sie sind auch Kulturstadtrat. Warum ist Kultur Ihrer Meinung nach so wichtig, was kann sie leisten?
Michael Grunst: Kultur ist das, was uns Menschen ausmacht. Wir wollen nicht nur essen, schlafen und arbeiten gehen, sondern auch das Leben genießen und uns entwickeln. Für all das steht Kultur und deshalb muss Kultur auch für alle zugänglich sein unabhängig vom Einkommen. Wir haben unsere Kulturförderung verdreifacht, um unsere Angebote zu erweitern. Es soll mehr Kultur entstehen, an der Interessierte aktiv teilnehmen können.
In letzter Zeit sind bei uns auch viele Ateliers entstanden und viele Kulturschaffende kommen nach Lichtenberg wie der internationale Künstler Tomás Saraceno. Er hat seine Werkstätten in der Rummelsburger Bucht. Lichtenberg entwickelt sich immer mehr zum Hotspot der Kreativszene.

Weihnachten steht vor der Tür. Wie werden Sie die freien Tage verbringen?
Michael Grunst: An Heilgabend werde ich zunächst Seniorenheime besuchen und allen danken, die auch an den Feiertagen für andere Menschen da sind. Am späten Nachmittag geht’s dann zur Familie und zu Freunden. Die Feiertage werde ich nutzen, um viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Denn das kommt im Alltag viel zu kurz.
Das Jahr geht zur Neige. Was wünschen Sie den Lichtenbergerinnen und Lichtenbergern für 2019?
Michael Grunst: Ich wünsche allen Lichtenbergerinnen und Lichtenbergern Gesundheit, ein Einkommen, von dem sie in Würde leben können und eine positive Grundstimmung bei der Bewältigung ihres Alltags.

Foto: Erik Hinz