Bezirksbürgermeister Michael Grunst im Gespräch.

Michael Grunst (Die Linke) ist seit Ende Dezember 2016 Lichtenbergs neuer Bezirksbürgermeister. Der 46-Jährige erzählt im Interview von einem geplanten Netzwerk für Alleinerziehende und seinen politischen Vorbildern. Außerdem verrät er, was Fußball und Politik gemeinsam haben.

Barbara Breuer: Michael Grunst, Sie haben sich nach dem Rückzug von Evrim Sommer im November 2016 als Bezirksbürgermeister zur Wahl gestellt. Was reizt Sie an diesem Posten?

Michael Grunst: Ich bin seit 1980 Lichtenberger und im Bezirk aufgewachsen. Seit 1995 mache ich hier Politik und habe auch schon ehrenamtlich in einer Jugendeinrichtung mitgearbeitet. Dass man dann irgendwann Bürgermeister wird, ist keine Folge, sondern ein Zufall des Lebens. Es ist eine spannende Aufgabe, in dem Bezirk Politik machen zu dürfen, in dem man fast sein gesamtes Leben verbracht hat.

Was ging Ihnen während des Urnengangs durch den Kopf?

Grunst: Ich war erst nervös, dann ziemlich erleichtert und überrascht, als es sofort beim ersten Mal geklappt hat. Das war in den letzten Jahren in Lichtenberg nicht so üblich …

Sie sind Verwaltungsmann durch und durch. 1998 haben Sie ein duales Studium zum Diplomverwaltungswirt (FH) gemacht und danach verschiedene Verwaltungsstationen durchlaufen, bevor Sie von 2003 bis 2006 persönlicher Referent von Dr. Heidi Knake-Werner (Die Linke) bei der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz waren. Was reizt Sie an Behörden-Jobs?

Grunst: Verwaltung organisiert zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern das Funktionieren der Stadt. Das ist eine sehr spannende Aufgabe – egal ob es um öffentliche Sicherheit geht oder um Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Jugendfeizeiteinrichtungen, Kitas oder Schulen.

Nachdem Sie lange Bezirksverordneter waren, haben Sie seit Ende 2012 als Stadtrat das Ordnungsamt in Treptow-Köpenick geleitet und waren dort seit Januar 2015 Stadtrat für Jugend und öffentliche Ordnung. Jetzt kehren Sie in ihren Heimatbezirk zurück. Was schätzen Sie an der Lichtenberger Verwaltung?

Grunst: Lichtenberg ist als sehr effiziente und effektive Verwaltung bekannt. Aber das Wichtigste an einer Verwaltung sind die Menschen, die dort arbeiten. Sie sind es, die vieles bewegen und die mit den Bürger­innen und Bürgern arbeiten. Deshalb ist es sehr wichtig, dass für sie die Rahmenbedingungen stimmen. Das Bezirksamt sollte ein verlässlicher Arbeitgeber sein, der fair bezahlt. Dann machen die Leute auch gute Arbeit – egal ob in Treptow-Köpenick oder in Lichtenberg.

Lichtenberg boomt. In den letzten Jahren sind immer mehr Menschen – auch aus dem angrenzenden Friedrichshain und Prenzlauer Berg – hierher gezogen …

Grunst: … und auch die Start-up- und Kulturszene sickert nach Lichtenberg rüber, sucht sich hier Räume. Das ist hochspannend und ein Gewinn für den Bezirk. Steuern können wir solche Prozesse nicht. Wir können nur schauen, dass die Infrastruktur stimmt, dass die Neulichtenberger Räume für ihr Schaffen und ihre Projekte finden, dass es genug Wohnungen für alle gibt. Wohnungsneubau wird deshalb auch ein wichtiger Schwerpunkt unserer Politik sein.

Sie selbst wohnen in einer WG nahe des Lichtenberger Bahnhofs. Was mögen Sie am Weitlingkiez?

Grunst: Spannend am Weitlingkiez ist die soziale Mischung, die es dort noch gibt. Wir müssen darauf achten, dass sie erhalten bleibt. Und wir müssen hier im Bezirk auch darüber reden, wie wir ein gutes Gleichgewicht zwischen Zuzug und der angestammten Bevölkerung schaffen. Gemeinsam mit Birgit Monteiro werde ich beispielsweise das Bündnis für Wohnen und Mieten fortsetzen. Natürlich müssen wir auch über konkrete neue Maßnahmen diskutieren. Das könnte beispielsweise bedeuten, dass bestimmte Kieze zu Millieuschutzgebieten erklärt werden.

Wie sieht so etwas genau aus?

Grunst: Da findet zunächst eine externe Untersuchung statt. Bisherige Daten sagen allerdings, dass es noch nicht notwendig ist, den Weitlingkiez zu einem Millieuschutzgebiet zu erklären. Das ist ein Dilemma. Was es bedeutet, erst tätig zu werden, wenn der Bevölkerungsaustausch schon stattgefunden hat und die Leute nicht mehr da sind, mussten die Kollegen im Prenzlauer Berg schmerzlich erfahren. Dort hat ja ein massiver Bevölkerungsaustausch stattgefunden.

Wohnen ist ein Schwerpunkt. Vor welche weiteren Herausforderungen sehen Sie sich gestellt?

Grunst: Ich habe den Eindruck, dass einige Quartiere sich abgehängt fühlen. Ob das gefühlt ist oder tatsächlich, will ich eins zu eins mit den Menschen besprechen. Dazu möchte ich im Frühjahr mit Kiezspaziergängen anfangen. Dabei können die Leute mir erzählen, ob sie sich in ihrem Umfeld wohlfühlen oder was aus ihrer Sicht dringend getan werden muss. Gleichzeitig sehen wir uns vor die Tatsache gestellt, dass ein Drittel der Kinder in unserem Bezirk von Transferleistungen abhängig sind. Das ist eine Situation, auf die wir auch ein Augenmerk richten müssen. Arm sind in Lichtenberg oft Alleinerziehende. Das werden wir auf jeden Fall diskutieren müssen. Ich könnte mir vorstellen, als ersten Schritt ein Netzwerk für Alleinerziehende in Lichtenberg zu gründen. Marzahn-Hellersdorf hat mit so einem Netzwerk sehr gute Erfahrungen gesammelt. Da müssen wir einfach nur über den Gartenzaun schauen.

Müssen die Berliner Bezirke näher zusammen arbeiten und sich austauschen, statt ihr eigenes Süppchen zu kochen?

Grunst: Alle Bezirksbürgermeister treffen sich regelmäßig beim „Rat der Bürgermeister“, und die benachbarten beispielsweise, wenn der Direktionsleiter der Polizei einlädt. Ich glaube, dass Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick es wert sind, von den Menschen als Region wahrgenommen zu werden. Ich würde mich gerne mit meinen Amtskollegen dazu austauschen, wie wir die Leute dazu bewegen können, auch über ihre Kiezgrenzen hinweg zu schauen.

Alle paar Wochen kann man Sie im Hans-Zoschke-Stadion beim Spiel von Lichtenberg 47 treffen. Was haben Fußball und Politik gemeinsam?

Grunst: Fußball ist ein Mannschaftssport, Politik oft nicht. Ich wünsche mir, dass wir hier im Bezirksamt als Mannschaft, als Team arbeiten. Ich glaube, dass Birgit Monteiro, Katrin Framke, Wilfried Nünthel und ich gut zusammenarbeiten werden. Mit der neuen Ressortverteilung zwingen wir uns quasi zur Teamarbeit. Wir können viel vom Fußball übernehmen – auch, dass jeder für den anderen arbeiten muss, um gemeinsam Erfolg zu haben.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit, wenn Sie nicht auf dem Fußballplatz mitfiebern oder für Freunde und Familie kochen?

Grunst: Lesen und einfach mal chillen. Offenbar ist es ja heutzutage ein Luxus, nichts zu tun. Und diesen Luxus gönne ich mir manchmal. Im Urlaub fliege ich gerne auf die Kanareninsel La Palma oder mache Städtetrips – am liebsten nach Rom. Denn dort kann ich auf wenigen Metern die Geschichte der vergangenen zweitausend Jahre spüren.

Sie als Bürgermeister verantworten neben dem Facilitymanagement, den Bezirksfinanzen und dem Personal auch ein „weiches“ Ressort wie die Kultur…

Grunst: Ja, aber die Kultur ist kein weiches Ressort. Denn es geht dabei auch immer um die kulturelle Teilhabe aller Menschen – egal ob mit oder ohne großen Geldbeutel. Ich werde mich dafür stark machen, dass alle Kultur genießen können: Menschen mit und ohne Behinderung, Kinder und Erwachsene, Menschen aus allen Einkommensschichten. Kultur ist Volksbildung.

Wer ist ihr politisches Vorbild?

Grunst: Von den Lichtenberger Bürgermeistern ist Oskar Ziethen auf jeden Fall unerreicht, weil er den Bezirk so stark geprägt hat. Geprägt hat mich in der Jugend Michail Gorbatschow. Bundespolitisch finde ich Angela Merkel faszinierend, auch wenn ich nicht immer ihre Positionen teile. Aber sie setzt sich mit ihren Vorstellungen in einer männerdominierten Welt durch. Und ich rechne es ihr hoch an, dass Sie sich für die Menschen eingesetzt hat, die ihre Heimat verlassen mussten.

Lichtenberg hat ja die meisten Flüchtlinge in Berlin aufgenommen. Wie wirkt sich das auf das Leben im Bezirk aus?

Grunst: Die Männer, Frauen und Kinder haben die weiten Distanzen nicht freiwillig auf sich genommen. Not, Krieg und Hunger zwingen sie zur Flucht. Und wir als reiches Land sind in der Lage, sie willkommen zu heißen. Als sie hier ankamen, mussten wir sie zuerst einmal notdürftig unterbringen. Aktuell sind wir dabei, die Notsituation zu beenden. Im Dezember wurden zwei Turnhallen in Lichtenberg freigezogen. Geflüchtete, die dort gewohnt haben, leben jetzt in so genannten „Tempohomes“. Wer hier bleibt, den wollen wir bei der Integration unterstützen: mit Sprachkursen, einer Ausbildung und mit Kitaplätzen. Mein Eindruck ist, dass die Lichtenbergerinnen und Lichtenberger sehr engagiert und tatkräftig Flüchtlinge unterstützen.

Von der Vergangenheit in die Zukunft. Wie soll Lichtenberg am Ende Ihrer Amtsszeit dastehen?

Grunst: Ich möchte, dass die Menschen sich in Lichtenberg wohlfühlen, gute Nachbarn sind und dass es sozial gerechter und familienfreundlicher zugeht. Und dass die Menschen, wenn man in Berlin über Lichtenberg spricht, mehr wissen über uns als heute.

red., Bild: bbr