Marihuana ist in Deutschland weit verbreitet und gefährlicher als viele Menschen glauben.

Um „Cannabis und Jugendschutz” dreht sich ein Infoabend des Bezirkseltern-Ausschusses „Schule” und des Bezirksamtes am Mittwoch, 4. Oktober, im Ratssaal des Rathauses Lichtenberg in der Möllendorffstraße 6. Interessierte Eltern können sich von 18 bis 20.30 Uhr bei Experten über die Risiken des Cannabiskonsums für Jugendliche aufklären lassen und sich über Suchtprävention informieren. Barbara Breuer sprach vorab mit Kerstin Jüngling, der Leiterin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin.

Das Bezirksamt Lichtenberg widmet sich dem Thema „Cannabis und Jugendschutz”. Sind viele Bezirke in der Drogenprävention aktiv?

Kerstin Jüngling: Wir haben vor anderthalb Jahren mal eine große Tagung mit allen Bezirken zum Thema „Suchtprävention” gemacht. Aber eine explizite Veranstaltung zu Cannabis habe ich so noch in keinem Bezirk erlebt. Ich finde es ganz toll, dass Lichtenberg sagt, wir wollen die Substanz, die bei den Jugendlichen sehr beliebt ist, mal in den Mittelpunkt eines Eltern-Infoabends rücken.

Seit den 1970er Jahren hat sich Cannabis in Deutschland zu der am häufigsten konsumierten illegalen Droge entwickelt – neben den legalen Drogen Tabak und Alkohol. Was ist schädlicher, ein Glas Rotwein zu trinken oder eine Tüte zu rauchen?

Kerstin Jüngling: Das hängt von vielen Faktoren ab: Von der Situation, vom Wirkstoffgehalt des Cannabis, vom Alter oder auch vom Gewicht des Konsumenten. Grundsätzlich sind beide sehr unterschiedliche psychoaktive Substanzen: Der größte Unterschied zwischen Cannabis und Alkohol ist, dass niemand weiß, wie stark das Cannabis ist und was da noch drin ist. Das weiß man beim Rotwein immer.

In der Hippie-Generation war das kein Thema. Was war anders?

Kerstin Jüngling: Verglichen mit früher, haben sich die Wirkstoffgehalte von Cannabis stark verändert. Das Tetrahydrocannabiol, kurz THC genannt, ist der Stoff, der beim Cannabis für den Rausch sorgt. Und das ist in den heutigen Züchtungen stark gestiegen. Cannabidiol hingegen, wird heute mehr und mehr aus den Pflanzen rausgezüchtet. Und das, obwohl es der Stoff im Cannabis ist, der verhindert, dass Konsumenten eine Psychose bekommen.

Also das, was Schäden mindert, wird rausgezüchtet. Das, was einen ordentlichen Rausch macht, wird verstärkt und damit werden Drogen wie Cannabis riskanter?

Kerstin Jüngling: Stimmt genau.

Berlin gilt als Hauptstadt der Kiffer – nirgendwo wird mehr illegales Cannabis konsumiert. Viele denken, dass Cannabis so schädlich gar nicht sein kann…

Kerstin Jüngling: Ja, da ist inzwischen eine Kultur geprägt worden: In Berlin kauft man öffentlich und dreht sich seinen Joint anschließend auf der Straße. Viele Eltern finden das normal, vernachlässigen dabei manchmal aber auch die Risiken, die ein solcher Konsum birgt.

Viele glauben, der Konsum von Cannabis sei legal.

Kerstin Jüngling: Aber das stimmt nicht: Der Besitz von Cannabis über der zulässigen Menge wird strafrechtlich verfolgt!

Aber man darf in Berlin ja eine geringe Menge zum Eigenkonsum mit sich führen…

Kerstin Jüngling: Ja, bis zu zehn Gramm sind erlaubt. Das ist in jedem Bundesland unterschiedlich. Wird jemand damit erwischt, der nicht gerade auf dem Schulhof gedealt oder Cannabis an einen Schüler übergeben hat, dann wird den Gerichten empfohlen, das Strafverfahren einzustellen.

Mehr als zwei Drittel der Berliner-innen und Berliner zwischen 16 und 27 Jahren haben schon einmal Cannabis konsumiert. Gibt es Zahlen zur Abhängigkeit?

Kerstin Jüngling: Nein. Es gibt nur bundesweite Zahlen zur Inanspruchnahme von stationären und ambulanten Suchthilfemaßnahmen mit der Hauptdiagnose Cannabiskonsum. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Alkohol nimmt dabei den ersten Platz ein. Dann kommen die Opiate und an dritter Stelle rangiert Cannabis. Menschen bekommen durch dauerhaften Gebrauch von Cannabis Probleme. Umsonst und ohne Not geht kein Mensch in eine Klinik.

Warum ist Cannabis besonders für Kinder und Jugendliche so gefährlich, wie beschrieben?

Kerstin Jüngling: In Kreuzberg beispielsweise, haben wir jugendliche Kiffer, die zum Teil erst zwölf Jahre alt sind! Je früher Kinder mit Drogen anfangen, desto sicherer ist es, dass sie Kandidaten für die Suchtberatungsstelle werden. Weltweit wurde nachgewiesen, dass der schädliche Konsum von Substanzen wie Cannabis, Alkohol oder anderen Drogen bei Minderjährigen die Gefahr drastisch erhöht, später größere Probleme mit Suchtmitteln zu bekommen.

Ist die Abhängigkeit dabei wirklich die größte Gefahr?

Kerstin Jüngling: Nicht nur. Denn die Jugendlichen lernen durch das Kiffen: Wenn ich den Mathelehrer doof finde oder mich meine Eltern nerven, dann vermeide ich die Konfrontation damit, indem ich kiffe. Diese Vermeidungsstrategie wenden sie unter Umständen dann später auch als Erwachsene an und werfen Tabletten ein oder trinken Alkohol, wenn es mal Stress gibt.

Was sind die unangenehmen Wirkungen von Cannabis?

Kerstin Jüngling: Konsumenten können schon bei geringen Mengen psychotische Zustände oder Angst bekommen. Vielen Menschen wird auch ganz übel – bis hin zum Erbrechen. Das Kurzzeitgedächtnis kann leiden, weshalb es nicht ratsam ist, beispielsweise vor einer Klassenarbeit zu kiffen.

Woran erkennen Eltern, dass ihr Kind kifft?

Kerstin Jüngling: Zeichen könnten sein, dass ihr Kind antriebslos ist und die Noten schlechter werden. Schon kleine Verhaltensänderungen ihrer Kinder sollten Eltern wahrnehmen und mit ihrem Kind besprechen. So kann meist Schlimmeres vermieden werden.

Sie und Ihre Kolleginnen von der Fachstelle für Suchtprävention in Berlin bieten auch Eltern-Kind-Seminare an. Was können beide dabei lernen?

Kerstin Jüngling: Die Seminare richten sich an Jugendliche ab zwölf Jahren, die meisten sind aber zwischen 15 und 16. Wir klären zuerst auf über die Wirkung, die rechtliche Situation, die Risiko- und Schutzfaktoren und auch die Motive für den Cannabis-Konsum. Viele Eltern kontrollieren die Rucksäcke oder die Handys ihrer Kinder. Die empfinden das als extremen Vertrauensbruch. Besser wäre es, miteinander zu sprechen. Wir schauen uns an, wie die Familie zusammen lebt: Wieviel Zeit haben alle füreinander? Wird am Wochenende gemeinsam gefrühstückt? Wir gucken nicht nur auf Cannabis, sondern auch auf das Drumherum.

Bringt das was?

Kerstin Jüngling: Wir schreiben die Eltern nach dem Seminar nochmal an und haben sehr positive Rückmeldungen. Viele Familien etablieren plötzlich gemeinsame Mahlzeiten und sie streiten sich auf einmal nicht mehr so viel. Die Eltern sprechen an, wenn sie sich Sorgen machen und gemeinsam reden sie wieder mehr über ihre Gefühle.

Weitere Infos

Fragen rund um ‚‚Cannabis und Jugendschutz”? Der Lichtenberger Suchthilfekoordinator Gerd Bergmann hilft weiter unter:
Telefon: 90 296 -4513

Illustration: Peer Kriesel – www.peerk.de, Foto: bbr