Im Sommer hat das Museum einen Vorlass des Lichtenbergers Wolfgang Bien erhalten – mit hölzernen Langlauf-Skiern, Sportauszeichnungen, Fotografien von Bauden aus dem Riesengebirge, Postkarten und anderen Erinnerungsstücken. Die Gegenstände stammen allesamt aus der Jugendzeit Biens. Er kam in den Jahren 1942/43 zusammen mit seinen Mitschülern aus der Knaben-Mittelschule in der Lichtenberger Fischerstraße 36 im Rahmen der so genannten Kinderlandverschickung (KLV) ins Riesengebirge.

Die Kinder sollten in den KLV-Lagern vor dem Bombenkrieg geschützt werden, der vor allem Großstädte traf. In dem Lager verbrachten die Schüler gemeinsam den Tag mit Schule, Sport, Mahlzeiten und Freizeit. Damit bereitete das Naziregime die Kinder und Jugendlichen spielerisch auf den Krieg vor. Später, im Januar 1945, lebten die Jungen aus der Klasse von Wolfgang Bien im KLV-Lager Lubmin, das geräumt wurde, als die sowjetische Armee näher rückte. Zunächst gemeinsam begaben sich die Jungen mit ihren Lehrern auf den Treck nach Westen, schlugen sich aber dann, als sie festgehalten wurden, in kleinen Gruppen nach Berlin durch.

Ehemalige Schüler der Knaben-Mittelschule hatten im Jahr 2000 ihre Erinnerungen an diese Verschickung aufgeschrieben. Wie in vielen Berichten von Zeitzeugen, waren auch die Wahrnehmungen der Lichtenberger Jungen vom Lagerleben überwiegend positiv – ganz im Gegensatz zu den Erinnerungen an den Krieg. Jüdischen Mitschülern war das Verschickungsprogramm verwehrt. Der Fakt konnte in den Berichten der Jungen keine Erwähnung finden, denn diese Erinnerungen an die Kinderlandverschickung setzen erst 1942/43 ein, als jüdische Mitschüler schon lange aus den Schulen entfernt worden waren. In den Berichten wird auch an die Mädchenklasse aus der Schule erinnert, die im KLV-Lager Neugalow bei Angermünde untergebracht war.

Am 18. November 1943 traf es eine Luftmine. 22 Menschen kamen dabei ums Leben – darunter auch zwölf Mitschülerinnen. Die Exponate des Monats Oktober belegen einen Teil Alltagsgeschichte während des Nationalsozialismus. Sie offenbaren eine zynische Politik: Kindern und Jugendlichen ließ man Fürsorge angedeihen, sofern sie laut NS-Terminologie als „rassisch wertvoll“ eingestuft waren. Unzählige andere Kinder wurden in den Konzentrationslagern ermordet. Und am Ende war die Diktatur nicht mehr in der Lage, ihre Schützlinge vor den Schrecken eines Krieges zu bewahren. Auch die Lichtenberger Jungen erlitten Entbehrungen und einige aus der Klasse starben.

Foto:Museum Lichtenberg