Mit einem großen Holzlöffel rührt Franziska Eisenreich in einem dampfenden Bottich herum, darin gewebtes Leinen im Wasserbad. Die 31-jährige Färberin gibt frische Birkenblätter hinzu: „So entsteht ein strahlendes Sonnengelb.“ Neugierige Kinder und Erwachsene bleiben stehen und schauen der jungen Frau interessiert zu. Franziska Eisenreich ist Mitglied im Wartenberger Verein „Spielwütiges Gesinde“. Wie in den vergangenen Jahren wird sie zusammen mit etwa 20 anderen Vereinsmitgliedern am Samstag, den 30. April, ab 14 Uhr und am Sonntag, den 1. Mai, ab 12 Uhr auf der Wiese vor dem Rathaus Lichtenberg stehen.

Am Sonntagnachmittag um 15 Uhr spricht dort die Bürgermeisterin. Denn bereits zum vierten Mal veranstaltet der Bezirk das traditionelle Mittelalterfest „Spectaculum am lichten berg“. Franziska Eisenreich, geborene Bauer, reist fast mit der kompletten Familie an. Während die junge Frau Stoffe färbt und Wolle spinnt, steht ihr Mann Mario an der Drechselbank. Mutter Simone führt derweil ihre selbstgebauten Marionetten aus Modelliermasse, Holz und Styropor vor. Später wird sie im selbstgenähten Leinenzelt das Märchen von der Suche nach dem Frühling spielen.

Am Abend steht die 53-Jährige dann noch mit den „Spielfrouwen“ auf der Bühne und animiert das Publikum per Dudelsack, Rausche – einer hölzerne Schalmei – und der mittelalterlichen Trommel Davul zum Feiern und Tanzen. Die Idee, das „Spielwütige Gesinde“ zu gründen, entstand in der Nachwendezeit. Damals waren Simone Bauer und ihr Mann Peter auf dem Brocken zur Walpurgisnacht. „Dort war ein großes, tolles Mittelalterfest, das allerdings sehr kommerziell ausgerichtet war“, erinnert sich Peter Bauer. Das Ehepaar kehrte nach Wartenberg zurück und veranstaltete wenig später eine Mittelalterfete. „Das kam super an und befreundete Familien schlossen sich uns an“, erinnert sich Peter Bauer. Heute ist das Fest Tradition und das „Spielwütige Gesinde“ feiert 15-jähriges Bestehen. Wer dort mitmachen möchte, kann das Ehepaar einfach ansprechen. Die meisten mittelalterlichen Vereine sitzen in Süddeutschland. Aber auch in Berlin und Brandenburg gibt es eine sehr aktive Szene: Viele Gruppen zelebrieren verschiedene mittelalterliche Epochen, Völker oder Schauplätze, treten auf Turnieren oder Märkten auf. So werden die Mitglieder von „Eibenklang“ das Publikum an der Rathausbühne begeistern. Außerdem gibt es zahlreiche „Re-Enactment“-Darsteller in der Hauptstadt. Sie stellen zusammen mit Gleichgesinnten in authentischen Kostümen historische Schlachten nach. In Lichtenberg zeigen beispielsweise „Viatores Historica“ mittelalterliche Lebensart. Das „Spielwütige Gesinde“ legt sein Hauptaugenmerk auf die Kinder. „Bei den meisten Mittelalterfesten kosten die Aktivitäten viel Geld“, weiß Simone Bauer. Sie und ihre Vereinskolleginnen und -kollegen zeigen Kindern kostenlos, wie im Mittelalter Wolle gefärbt und gesponnen oder Gegenstände aus Eisen geschmiedet wurden. An anderen Ständen kann sich der Nachwuchs als Ritter oder Töpfergeselle versuchen.
Für Hungrige bietet die Wanderbäckerey frisches Brot feil und Interessierte erfahren, wie im Mittelalter Speiseeis hergestellt wurde. Im „echten“ Leben ist Simone Bauer weder Marionettenspielerin noch Musikerin. Sie arbeitet als Heilerziehungspflegerin für schwerstmehrfachbehinderte Menschen. Wie sie kommen viele Mitglieder vom „Spielwütigen Gesinde“ aus dem sozialen Bereich oder tragen beruflich viel Verantwortung. „Uns allen hilft dieses Hobby dabei, mal den Kopf frei zu kriegen“, erklärt die Wartenbergerin. Und so tauschen sie immer wieder gerne die sonst so durchtechnisierte Welt gegen das ursprüngliche, einfache Leben. Aber während es die so genannten „As“, die ganz Authentischen, mit allem sehr genau nehmen, zählt sich das „Spielwütige Gesinde“ zu den „Gnuks“, den geschichtlich nicht unbedingt Korrekten. „Wir haben Zuhause zwar eine ganze Wand voll mit Mittelalter-Literatur und recherchieren auch Dinge in Museen, aber für uns gibt es Grenzen“, erklärt Simone Bauer. „Meine Brille würde ich niemals abnehmen, auch wenn es die so im Mittelalter nicht gab. Und wir kommen mit dem Auto und nicht mit dem Pferdewagen zum Spectaculum.“

 

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